Unweit von Saint-Paul-de-Vence befindet sich das malerische Dorf Tourettes-sur-Loup. Auf der Straße nach Grasse gelangt man zu einer Brücke, Pont du Loup genannt, wo eine abzweigende Straße in die tiefen Schluchten des Gebirgsflusses Loup führt. Ein Stück westlich der Brücke befindet sich eine Kapelle. An diesem Ort befand sich die ehemalige Einsiedelei des Heiligen Arnoux, einem der zahlreichen provenzalischen Volksheiligen. Die alteingesessen Familien Agard und Giraud waren massgeblich am Bau der Wahlfahrtskapelle beteiligt. Ein später Nachfahre, Jules Agard, töpferte in Vallauris mit Pablo Picasso.
Die Heiligenerzählung des Saint Arnoux, zu deutsch Heiliger Arnulf, ist eine schaurige Legende. Sie ereignete sich im 11. Jahrhundert. Arnoux war ein einfacher, anständiger Kleinbauer. Mit seiner Frau bewohnte er eine schlichte Hütte in dieser Bergregion, einige Meilen von seinem Elternhaus entfernt. Sein alte Mutter und auch sein greiser Vater liebten den Sohn von ganzem Herzen und unterhielten auch zu ihrer Schwiegertochter ein besonders inniges Verhältnis. Die Familie konnte sich aber wegen der anstrengenden Wegstrecke, die zwischen beiden Anwesen lag, nicht oft besuchen.
Eines Tages musste Arnoux wegen seiner Geschäfte für einige Zeit auf Reisen gehen. So verließ er seine Frau und erklärte ihr am Morgen der Abreise, dass er schon für einige Wochen fort sein werde. Doch kaum hatte er einen Halbtagesmarsch hinter sich, fiel ihm ein, dass er ein wichtiges Werkzeug daheim vergessen hatte. So kehrte er um und kam mitten in der Nacht bei sich zu Hause an. Er schlich ganz still auf Zehenspitzen in die Schlafstube, um seine Frau zu überraschen. Doch als er ans Bett kam wurde er bleich vor Schrecken: auf dem Kopfkissen lagen zwei Menschen. Schlief hier ein fremder Mann neben seiner Frau? Blind vor Wut zog er sein Messer aus dem Halfter und stach es in die Herzen der beiden Körper. Die beiden Opfer hatten gerade ihren letzten Atemzug getan, da kam Arnoux wieder zu sich und erkannte, dass er seinen eigenen Vater und seine eigene Mutter erdolcht hatte. Was für eine schreckliche Tat!
Grotte des Heiligen Arnoux : "La Grotte Saint Arnoux" |
Und eigentlich wäre alles ganz einfach zu erklären gewesen. Am Nachmittag klopften seine Eltern an der Türe ihrer Schwiegertochter, weil sie überraschenderweise ein paar Tage auf Besuch zu ihrem Sohn kommen wollten. Die Hausherrin, welche die beiden Alten sehr gut leiden konnte, empfing sie so gastfreundlich sie konnte: Sie bereitete ein kräftige Suppe zum Abendessen und bot ihnen das gute Bett in der Schlafstube zum Übernachten an. Selbst schlief sie im Heu auf dem Speicher.
Über diese schreckliche Tat kam Arnoux nicht hinweg. Er ging, verrückt vor innerem Seelenschmerz, einfach fort, ohne zu wissen, wohin ihn seine Beine tragen würden. Er dachte auch daran sich selbst umzubringen. So stand er am Abgrund einer Schlucht. Doch zögerte er, wollte er doch nach dem schrecklichen Verbrechen des Doppelmordes an seinen Eltern, nicht noch eine Selbsttötung hinzufügen. So stieg er steil hinab in die Schlucht und fand dort eine Höhle vor, die auch heute noch Grotte d'Arnoux genannt wird. Hier verbrachte er den Rest seines Lebens in völliger Einsamkeit, um Sühne zu tun. Es heißt, er habe sich nur von Wurzeln ernährt und auf dem nackten Fels der Grotte geschlafen. Das dauerte so viele Jahre, dass ein Abdruck seiner Schädelform im Gestein verblieb und bis heute zu sehen ist. Seine Sühnebereitschaft war so unermesslich und sein weiteres Leben so gottgefällig, dass er bis heute in der ganzen Provence als Heiliger verehrt wird.
Das Dorffest in Bar-sur-Loup findet alljährlich an einem Wochende Anfang Juli statt.
Und der Quelle vor seiner Grotte wird eine Heilwirkung vor allem bei hartnäckigen Hautkrankheiten nachgesagt. In der Vergangenheit sollen verstümmelte und behinderte Menschen aus der ganzen Gegend hierhergekommen sein, um sich nach bestimmten Ritualen im klaren Wasser des Saint-Arnoux zu baden. Es heißt auch, dass bis Mitte des letzten Jahrhunderts zahlreiche Gichtkranke hier badeten.
Bei einer diözesanen Gebietsreform wurden im Septembre 2023 mehrere Pfarrgemeinden zusammengelegt, und jene von Roquefort les Pins, le Rouret, Chateauneuf-de-Grasse und Opio in „Paroisse Saint Arnoux“ umbenannt.
Arnoux Kapellen von Seillans im Var und Le Mas mit renoviertem Altar (Photo rechts) im Grasser Hinterland. |
Dass der hier verehrte Volksheilige nicht der Heilige Arnoux ist, welcher seinen katholischen Feiertag am 18. Juli hat ist klar. Die Quellen sprechen demnach von verschiedenen Personen. Ein Eremit der Lérinsinselns aus dem 4. Jahrhundert wird erwähnt, welcher hier Wunder gewirkt haben soll, auch der Heilige Arnulf von Metz (etwa 570 bis 640). Arnoux stand den Karolingern nahe, wurde in Trier zum Priester geweiht und 614 Bischof von Metz. 627 trat er von seinem Kirchenamt zurück und lebte von da an als Einsiedler in Remiremont (Rümersberg) in den Vogesen. Manchen Legenden zufolge soll er seinen Lebensabend in der Grotte der Loup-Schluchten verbracht haben, was aber sehr unwahrscheinlich ist.
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Alteingesessene Familien, zwei Kapellen und ein grosser Künstler
Die ursprüngliche Kapelle wurde seit jeher vom Pfarramt in Bar-sur-Loup unterhalten, obwohl nicht exakt bekannt ist, wer sie wirklich erbaut hat und sie eigentlich zur benachbarten Pfarrgemeinde von Tourrettes-sur-Loup gehörte. Manche sagen der Comte von Bar-sur-Loup sei der Bauherr gewesen, um Sühne für seine zahlreichen Missetaten zu leisten, darunter auch der Bruch des Fastengebotes. Wie dem auch sei, bei Unwetter und Starkregen wurde die ursprüngliche Kapelle 1867 stark geschädigt, nur die Büste des Heiligen Arnoux blieb unversehrt. Der Pfarrer von Bar-sur-Loup plante sie bald wieder neu erbauen zu lassen, vor allem, damit die zahlreichen Pilger zwischen Mitte Juli und Mitte September weiterhin kommen konnten.
Das Anwesen der Familie Agard |
Die alteingessessene Familie Agard bot an, dieses Vorhaben zu finanzieren, wie es das Familienoberhaupt Antoine-Fortuné Agard schon in der Vergangenheit durch seine Grosszügugkeit bewiesen hatte, so beispielsweise eine Gabe der Antoniuskirche und des Taufbeckens in Bar-sur-Loup. Auf einer Gedenktafel, welche in Bar-sur-Loup konserviert ist, wird dokumentiert, dass die Pfarrgemeinde von Bar-sur-Loup das Niessbrauchrecht der Kapelle erhielt : « Honneur et reconnaissance à Mr Antoine-Fortuné Agard, qui a cédé à perpétuité la jouissance et l’usufruit de cette chapelle à la fabrique de l’église du Bar, sa patrie. 1867. »
Jules Agard und Picasso im Atelier Madoura 1949, sowie ein Gemälde von Jules Agard, Paysage, 1963. |
Die neue Kapelle entstand jedoch in Pont-du-Loup, also auf Gemeindegebiet des benachbarten Wehrdorfes Gourdon, was den damaligen Besitzer der zerstörten Kapelle, Victor Giraud, bewog alle Mittel und Wege zu mobilisieren, die ursprüngliche Kapelle wieder in Stand zu setzen, blieb aber bis heute eine Ruine. Immerhin konnten auf diese Weise ab 1881 die Walfahrten erneut aufgenommen werden. Es fanden am 18. Juli traditionelle zwei Walfahrten statt, eine ging von Bar-sur-Loup aus, die andere von Tourettes-sur-Loup.
Die Kapelle in Pont-sur-Loup spielte keine Rolle mehr, die Heiligenstatue des Saint-Arnoux ist bis heute in Familienbesitz der Agard-Giraud, welche durch zahlreiche Bande und Eheschließungen. Beide Familien waren reiche Grosssgrundbesitzer, Kaufleute und zeitweise sogar Parfumeure in Grasse. Darüber hinaus besassen die Agards eine sehr bedeutende Olivenöl-Mühle. So war bereits Antoine-Fortuné Agard, 1827 in Bar-sur-Loup geboren, der Sohn von François Agard und Marie Cécile Rosalie Giraud. Die Familie verzweigte sich, und erweiterte ihren Einflussbereich im Westen des Departements Alpes-Maritimes. Am berühmtesten ist heute der Künstler Jules Agard (1905 – 1986) der im Atelier Madoura von Vallauris maßgeblicher Töpfer der Werke Picassos war.
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