Guy de Maupassant : Auf dem Wasser

In nur zwölf Jahren verfasste Guy de Maupassant über 300 Novellen sowie sechs bedeutende Romane, darunter Bel Ami aus dem Jahre 1885. Bel Ami taufte er auch seine Jacht, welche im Hafen von Antibes lag. Sie ist Hauptdarsteller einer seiner bedeutendsten Novellen „Auf dem Wasser“ (Sur l’eau) aus dem Jahre 1887, worin er mit seinem unverwechselbaren Stil einen Törn von Saint-Tropez bis Monte-Carlo beschreibt.


Hauptziel Maupassants fluchtartiger Reisen in den sonnigen Süden, ans offene Meer, war das alte, provenzalische Mittelmeerstädtchen Antibes. Viel weiter hätte er sich innerhalb der Festlandsgrenzen Frankreichs kaum von Paris entfernen können. Zudem verbrachte seine Mutter ihren Lebensabend an der Côte d’Azur, und im Port Vauban wartete seine Jacht Bel Ami auf ihn, ein Prachtstück, stolze elf Meter lang und immerhin neun Tonnen schwer.

Guy de Maupassant mit seiner Mutter Laure Poitevin




Dieser Jacht ist auch der Reisebericht „Auf dem Wasser“ (Sur l’eau) gewidmet. Er wurde 1987 verfasst, erschien ein Jahr später, im März und April 1888 zunächst als viel beachteter Artikel der Revue Les Lettres et les Arts, dann im Oktober 1888 als gebundenes Buch bei dem Verlag Edition Marpon et Flammarion.






Frühe Ausgabe des Reiseberichtes Sur l'eau 


Bei seinen Aufenthalten an der Côte d’Azur residierte Guy de Maupassant in verschiedenen Häusern, zunächst im Château de la Pinède, wo auch seine Mutter wohnte, später in der Villa Le Bosquet, die er Anfang 1886 mietete, weil ihm deren einfache, rein provenzalische, zum Garten hingewandte Architektur besonders zusagte, und dann, 1887, im Châlet des Alpes auf dem Badine Hügel oberhalb des Stadtkerns.









Château de la Pinède in Juan-les-Pins


Seine Autorenarbeit verlief monoton, nach eingefahrenem Schema. Er schrieb stets vormittags, zusätzlich arbeitete er hin und wieder nachmittags, soweit ihm Korrektur und Überarbeitung seines morgendlichen Werkes angebracht erschienen. Von der besseren Gesellschaft in Antibes, und den entsprechenden, abendlichen Banketten hielt er sich nach Möglichkeit fern.



 Chalet des Alpes im Quartier La Badine

Dennoch verbrachte Maupassant die freien Stunden seiner Tage normalerweise nicht in solch idyllischer Einsamkeit, wie im Reisebericht beschrieben, weder in seinem Stadtquartier, noch auf seiner Jacht. Auch wagte er sich eigentlich gar nicht so weit auf offene See hinaus, verließ er doch mit seiner Bel Ami den Hafen Port Vauban nicht besonders lange, sondern kreuzte lediglich für kurze Zeit ums nahe Cap d’Antibes oder segelte ins benachbarte Cannes, wo er eine Liaison zu einer anonym gebliebenen, verheirateten Dame, deren Gemahl öfters verreist war, unterhielt.

 Maupassant auf seiner Jacht Bel Ami

Zudem hatte er meist Begleitung, von Künstlern, Aristokraten, Geldadel, Bankiers…, und vor allem der Damenwelt. Ungezählte Frauen aller, selbst der verruchtesten Schichten holt er er sich an Bord. Um sie zu beeindrucken sprang er mit entblößtem, bullig-kräftigen Oberkörper in die blauen Fluten, liess den vom Rudern auf der Seine gestählten Bizeps spielen.

 Ruderpartie in galanter Begleitung
von Colette Dumas-Lippmann und Geneviève Strauss

Obwohl meist mit an Bord, kommt eigenartigerweise sein vertrauter Diener François in Sur l’eau nicht vor, geschweige denn die Horde leichter Mädchen, mit welchen er sich die Zeit vertrieb. Davon steht in dem Reisebericht kein Wort, nicht ein einziges. Jedoch sind zumindest die beiden Matrosen Bernard und Raymond authentisch.




Deutsche Ausgabe von Sur l'eau, Übersetzung und Nachwort Johannes Samuel









Nicht verleugnet werden kann, dass die Beschreibung des Segeltörns Sur l’eau auch eine Art Werbekampagne zum Verkauf der Jacht war, wurde sie doch mit diesen Zeitschriftenartikeln vor einem kaufkräftigen Publikum in höchsten Tönen angepriesen. Zum Bootsverkauf wurden sogar Werbekarten mit einem professionelen Foto der Segeljacht samt Beiboot gedruckt. Und übrigens erwarb später Maupassant eine noch größere, noch bessere, noch beeindruckender Segeljacht, die Bel Ami II.




Verkaufskarte der Jacht Bel Ami







Abgesehen davon hat Sur l’eau in Maupassants Gesamtwerk einen ganz besonderen Stellenwert. Es ist nämlich sein einziges literarisches Zeugnis, das eine umfassende Selbstreflexion darstellt, auch seine ungeheure Angst vor dem Irrewerden und dem Tod zeigt.

Der in ihm keimende, bald schon ausbrechende Wahnsinn trat in diesem tagebuchartigen Reisebericht als psychologisches Moment hervor. Die Angst vor dem Verrücktwerden marterte und zernagte Maupassant. Diese Angst konnte durch die kleinste, unbedeutendste Beobachtung ausgelöst werden, ein nichtiges, vermeintlich aus seinem Inneren kommendes Geräusch, welches sich zur tosenden Halluzination emporschwang.

Porträtfotographie von Guy de Maupassant

Ein ungelöstes Rätsel stellt bis heute das Nachwort dar. Was wollte Maupassant mit der Behauptung bezwecken, alles sei authentisch und unüberarbeitet, eine Momentaufnahme seines Lebens, eben ein Tagebuch? Vieles deutet nämlich darauf hin, dass Sur l’eau sehr wohl überarbeitet und regelrecht konstruiert wurde, sogar die Gesamtphilosophie, das Weltbild Maupassants dokumentiert. Jedenfalls finden sich in dem Reisebericht Sur l’eau gleich mehrere Dutzend Stellen von früher wieder, so die Kriegskritik oder die Geschichte der todkranken Bauern in der Normandie. Das gilt auch für die Erzählung des tragischen, auf Tatsachen beruhenden Schicksalstodes der betrogenen Tochter eines Militärs adeliger Herkunft, vom Range eines Obersts, die dreißig Jahre lang mit ihrem Mann als versteckte Einseiedelbäuerin lebte. Alle diese Geschichten waren schon einige Jahr zuvor als isolierte Einzelartikel im Figaro und anderen Journalen veröffentlicht, aber erst jetzt zu einem Ganzen verwoben worden.

Villa Le Bosquet, eigentlich eine Bastide

In diesem Zusammenhang wird auch die tatsächliche Existenz des romantischen Liebespaares aus der Bucht von Agay und das Wiedertreffen der Beiden als verbitterte Spieler in Monte-Carlos Kasino, kurz vor einer Trennung stehen, stark angezweifelt.

Ein solches Szenario klingt nach literarischer Erfindung, nach Maupassantscher Novelle. War dieses Detail der Entwurf eines neuen Romanes, einer geplanten Reflexion über die Ehe seiner Eltern, einer Abrechnung mit ihnen, oder war Sur l’eau gar ein In-sich-Hineinhorchen, die Stoffsammlung für einen autobiographischen Bildungsroman des Schriftstellers Guy de Maupassant?


Wie dem auch sei, bezeichnend ist, dass Guy de Maupassant für sein intimes Werk den Titel Sur l’eau gewählt hat. Das Objekt Wasser, diese Banalität, diese Alltäglichkeit, zieht sich wie ein Faden, als immer wiederkehrende Kulisse durch sein literarisches Werk und auch sein Leben. Denn es war das frische Seewasser des Atlantik, welches seine Kinderbeine am Kieselstrand von Etretat umspült hat, es war das glatte, grünliche Nass der Seine, womit er sich als junger Ministerialbeamter beim Rudern den Nacken kühlte, worauf sich seine Jacht Bel Ami bei den galanten Eskapaden in Antibes wog, und es waren die letzten, feuchtnassen Nebelschwaden des Frühsommers, welche sein umnachtetes Ende unweit grüner Flussauen der Ile de France beweihräucherten…

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