Jean Giono : Über einen, der nicht in Antibes leben wollte

Forsch hatte er einst die Versetzung aus dem provinziellen Manosque ins mondäne Antibes abgelehnt. Das war lange bevor er ein weltberühmter Schriftsteller wurde. Wegen seiner pazifistischen Grundsätze mißverstanden, wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg für einige Jahre mundtot gemacht. Zur Verleihung eines Literaturpreises kam er später doch noch an die Côte d’Azur, und wurde damit rehabilitiert. Es geht um Jean Giono, dessen humanistisches Romanwerk ganz einfach und natürlich die provenzalische Ländlichkeit erzählt, und sich gleichzeitig universell gegen die Brutalität der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts revoltiert.


So spricht wirklich keiner, für den Bilanzsummen eine spannende Lektüre sind : „Und er ist wiedergekehrt der gewaltige Frühling. Der Süden tut sich auf wie ein Mund, und hervor quillt ein Atem feucht und lau, und die Blüten erbeben in den Samenkörnern, und die Erde beginnt zu reifen wie eine Frucht…“ Trotzdem war Jean Giono eigentlich Banker und brachte es bis zum stellvertretenden Filialleiter in Manosque.

Manosque und die Colline Mont d'Or

In dieser Kleinstadt der Haute-Provence kam Giono am 30. März 1895 zur Welt. Sein Vater, Anarchist und Schuster, stammte aus einer Immigrantenfamilie aus dem italienischen Piemont. Er verschaffte ihm nach der Schulzeit eine Lehrstelle in der lokalen Bankfiliale des „Comptoir National d’Escompte de Paris“, ein Vorgänger der heute größten französischen Depositen-Bank BNC.

Bis dahin ist das eine durchaus alltägliche Biographie, an der nichts ungewöhnlich scheint. Aber dann kam der Krieg.

Jean Giono mit seinem russischen Freund Ivan Ivanovitch Kossiakoff

Mit zwanzig Jahren wurde Giono als Montagnard nach Flandern in den Stellungskrieg geschickt. Dorthin, wo die ungeheuerliche Brutalität des Ersten Weltkrieges wohl jeden Frontsoldaten in Verrohung der Gefühle und in Todesangst stürzte. Giono ist sich später sicher, keinen Menschen getötet zu haben. Er machte sein Gewehr unbrauchbar. Er wird radikaler Pazifist. Technik, Zivilisation, Krieg und Tod einerseits und Natur, Solidarität, das Leben andererseits : ein absoluter Gegensatz. So empfindet Giono, als er nach dem Krieg nach Hause zurückkehrte. Das ist seine Weltanschauung und Leitmotiv aller seiner Dichtungen.

Jean Giono mit seiner Mutter während des Zweiten Weltkriegs

Gegen Krieg und Politik, die zum Krieg führt, schreibt Giono 1937 in „Refus d’Obéisance“: „Ich ziehe es vor zu leben. Ich weigere mich, mich zu opfern. Niemand braucht sich für mich zu opfern, wer immer er sei. Ich bin nur bereit mich für mein eigenes Glück und das Glück der anderen zu opfern. Man mache sich keine unnötige Mühe. Ich weiß, woran ich bin.“ Zu dieser Zeit ist er bereits ein bekannter Schriftsteller.



Friedenspamphlet aus dem Jahre 1938








Aus dem Krieg kehrt er aber erstmal in seine Bank zurück. Giono hat Mutter, Frau und Tochter zu ernähren. Er nimmt diese Pflicht ernst. Er ist kein genialischer Dichter, der seine Umwelt ignoriert. Genauso ernst nimmt er auch seine pazifistische Überzeugung. Er schafft sich Feinde. Man verdächtigt ihn, Kommunist zu sein. In dieser Zeit beginnt Giono zu schreiben. Abends nach Feierabend, allein mit sich, aber völlig überzeugt von seiner Berufung.

Auszug aus dem Angestelltendossier der Bank in Manosque
 über Jean Giono aus dem Jahre 1912

Im Jahre 1929 erschien sein erste Buch Colline (Der Hügel), danach Un de Baumugnes (Der Berg der Stummen) und 1930 Regain (Ernte). Erfolg stellt sich sofort ein. Seine Bücher werden gelesen, übersetzt und bestaunt. Sie handeln nicht von Krieg und Tod, von Gesellschaft und Psyche, sie scheinen vollkommen unzeitgemäß.

Giono erzählt von Bauern, Tagelöhnern und einfachen Menschen seiner Heimat. Er erzählt vom Landleben, das keine romantische Angelegenheit war. Es war eine Frage von Leben und Tod, von Kämpfen mit der Natur, also mit Kräften, die stärker sind als wir selbst. Wir modernen Menschen erfahren solche Kräfte am ehesten noch in der Ohnmacht schwerer Krankheit oder großer Schmerzen – falls gerade keine Schmerztablette zur Hand ist. Es ist die Gewalt des Lebens, die uns in solchen Simulationen vollkommen gefangen nimmt. Und wer vielleicht an das erste Verliebtsein zurückdenkt, erinnert sich an das positive Gegenteil, die Macht der Gefühle, mit denen man die ganze Welt umarmen möchte. Was wir nur noch selten erleben, das ist für Gionos Figuren Alltagsleben, der alltägliche Kampf mit dem Leben.





Das Anwesen im Grünen «Lou Paraïs» hat Jean Giono bereits 1930 gekauft, abseits städtischer Hektik.




Weil aber jeder die Kraft des Lebens – im Guten oder im Schlechten – erfahren hat, sind Gionos Erzählungen auch keinem fremd. Unzeitgemäß, das sind sie eben nicht. Giono kümmert sich nicht um Zeitgeist. Er verbreitet keine Exotik, kein Klischee, keine Heimatroman-Stimmung. Die Geschichten, sei es Liebe in Der Berg der Stumme oder Ernte (Regain) eines aussterbenden Dorfes, sind echt und wahrhaftig. Gionos kraftvolle und poetische Sprache findet für sie wunderschöne Worte und faszinierende Bilder.



Jean Giono in seinem Arbeitszimmer, wo er den Großteil seiner Werke verfaßt hat.




Giono schreibt 1934 im Rückblick: „Sofort habe ich für das Leben geschrieben. Ich habe das Leben geschrieben. Ich wollte alle Welt vom Leben betrunken machen. Ich wollte das Leben wie einen Sturzbach dahinbrausen und tosen lassen, damit er sich über all diese trockenen und verzweifelten Menschen stürze, sie mit den kalten, grünen Wellenschlägen des Lebens peitsche, ihnen das Blut unter die Haut treibe, sie mit Frische, Gesundheit und Freude überwältige, sie mitsamt ihren beschuhten Füssen entwurzle, und mit sich fortschwemme.“ Aber was hat das noch mit Pazifismus zu tun ? Er fährt fort: „Denn was das wirre Rauschen und Tosen des Lebens einmal hinweggetragen hat, das kann nie und nimmer mehr den Krieg und die soziale Ungerechtigkeit verstehen.“



Offizielle moneagssische Mitteilung : Literaturpreis 1953 geht an Jean Giono.





Das ist es. Giono war schnell anerkannt, konnte als freier Schriftsteller leben. Aber er ließ, auch während der Besatzung Frankreichs durch die Nazis und der Vichy-Regierung, nicht von der pazifistischen Verweigerung ab. Der Kollaboration verdächtigt, hatte er 1944 – 1947 Veröffentlichungsverbot. Aber mit der Zeit kam seine Rehabilitierung. Und acht Jahre später, 1953, erhielt Jean Giono den Literaturpreis "Prix Littéraire Pierre de Monaco" für sein Gesamtwerk. In der 16-köpfigen Jury saßen u.a. Marcel Pagnol und Georges Simeneon. 

Dabei kam er auch öfter durch Antibes, der Stadt, welcher er Ende der 20er Jahre einen Korb erteilte. Dazu hat er sich nur ausweichend ausgesprochen. Er begründete das Verbleiben in Manosque durch seine Heimatverbundenheit, wie er im Jahre 1958 erzählt : „Zu dem Zeitpunkt, als ich an dem Roman Colline zu arbeiten begann, hatte ich bereits 17 Berufsjahre als Bankangestellter hinter mir, und eigentlich in keinster Weise die Absicht diesen Beruf aufzugeben. Ich war glücklich, der Beruf gefiel mir wirklich gut.“



1956 präsidiert Jean Giono die Preisjury des "Prix Littéraire Pierre de Monaco", rechts sitzt Marcel Pagnol.



Ein Jahr später wurde er in die Académie Goncourt aufgenommen, er begann sich zusammen mit Marcel Pagnol zunehmend der Kinobranche zuzuwenden. Er präsidierte das Filmfestival von Cannes 1961, in dessen Jury auch die schweizer Schauspielerin Liselotte Pulver sass.



 Liselotte Pulver und Willy Brandt 1971.






Jean Giono gilt als einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller des 20. Jahrhundert. Während des Algerienkrieges engagierte er sich in der Friedensbewegung mit seinen Freunden André Breton, Albert Camus, Jean Cocteau und Abbé Pierre.

Giono mit seinen Freunden Bernard Buffet und Jean Cocteau


Man nannte ihn den immobilen Reisenden. Am 9. Oktober 1970, ist Giono in seinem Landhaus „Lou Paraïs“ in Manosque gestorben.




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